1

Tränenreiche Liebe

Beim Kochen ist sie meistens Nebendarstellerin mit tränenreicher Rolle, auf der Bühne der Gemüsewelt wird von ihr kaum Notiz genommen. Doch einmal im Jahr, bei traditionellen Herbstfesten, steht sie als
Star im Rampenlicht: die Küchenzwiebel.

Bolle heißt sie in Brandenburg, Nislauch in Bayern, Zibele in der Westschweiz und in der Eifel nennt man sie Oellig: Die Küchenzwiebel (lat. allium cepa) zeigt Vielfalt, auch hinsichtlich ihrer regionalen Bezeichnungen. Zahlreiche Sorten bereichern die täglichen Speisen mit ihrem scharfen, milden oder süßlichen Aroma. Neben den gängigen gelblich-braunen Haushaltszwiebeln kommen vor allem in Salaten die etwas milderen roten oder weißen Zwiebeln zum Einsatz oder die saftigen, großen Gemüsezwiebeln. Spitzenköche und -köchinnen sind oft Fans der aromatischen Schalotten, die auch Edelzwiebeln genannt werden. Frühlingszwiebeln, die an Lauch erinnern, und Silberzwiebeln, als Ergänzung zu eingelegten Gurken, sind ebenfalls bekannte Schwestern der gelben Speisezwiebel. Weniger bekannt hingegen: die Perlzwiebeln, die heute kaum noch angebaut werden, oder auch Etagen- beziehungsweise Luftzwiebeln, die an den Trieben wachsen und vor allem Gourmetgaumen erfreuen.

Anerkannte Heilpflanze
Die Küchenzwiebel dient zur aromatischen Verfeinerung von Gerichten und gilt darüber hinaus als hervorragender Fleischzartma-cher. Davon profitiert zum Beispiel der klassische Spießbraten. Aber auch in der Heilkunde ist diese Pflanze – botanisch betrachtet ist sie ein Speicherorgan – wegen ihres hohen Schwefel- und Kaliumgehalts, ihrer Vitamine, der ätherischen Öle und Antioxidantien anerkannt. Ihre Vorteile für die Gesundheit, zum Beispiel die antibakteriellen Eigenschaften, machten die Zwiebel zur Heilpflanze des Jahres 2015. Zwiebelsaft oder -sirup verwendet man zum Beispiel bei Wunden und Insektenstichen, ein Teeaufguss kann Erkältungsbeschwerden lindern. Die Nutzpflanze soll aber auch bei Appetitlosigkeit helfen und den Blutdruck sowie die Blutfette senken. Kreative wissen die Schalen der Zwiebel besonders zu schätzen: Mit ihnen lassen sich zum Beispiel Ostereier prima einfärben.

Älteste Kulturpflanze der Menschheit

Die Zwiebel als Heilmittel hat eine lange Geschichte: Im alten Ägypten galt sie als Symbol für das ewige Leben und wurde Pharaonengräbern als Wegzehrung für den Gang ins Jenseits beigelegt. Davon zeugen die im Grab des Tutanchamun gefundenen Zwiebelreste. Die römischen Gladiatoren sollen sich mit dem Saft einer Zwiebel eingerieben haben, um ihre Muskeln zu stärken. Vor allem bei der armen römischen Bevölkerung zählten Zwiebeln zu den Grundnahrungsmitteln. Dieses Gemüse durfte auf keiner Tafel fehlen und sollte in Verbindung mit einem speziellen Öl sogar vor der Pest schützen. Die Römer waren es auch, die diese älteste Kulturpflanze der Menschheit, die vermutlich im mittel- und ostasiatischen Raum beheimatet ist, in Mitteleuropa verbreiteten. Etwa im 15. Jahrhundert begannen die Niederländer dann mit der Züchtung unterschiedlicher Sorten. Im deutschsprachigen Raum bekannt sind vor allem die altbewährten Sommerzwiebeln „Rote Braunschweiger“ oder die etwas milderen, winterharten „Stuttgarter Riesen“.
Rote Zwiebeln sind etwas milder im Geschmack als gelbe – und ausgesprochen dekorativ.

Herbstfeste mit Zwiebelduft

Jedes Jahr am zweiten Wochenende im Oktober veranstaltet Weimar ein Volksfest zu Ehren der beliebten Würzpflanze. Es ist eines der ältesten Volksfeste in Thüringen. Erstmals als „Vieh- und Zwippelmarkt“ im Jahr 1653 erwähnt, lockt es mit geschmückten Verkaufsständen und zahlreichen kulturellen Darbietungen Hunderttausende Besucherinnen und Besucher in die Goethe-Stadt. Während man in Weimar jährlich einen Wettstreit um den längsten Zwiebelzopf auslobt, feiert man am Bodensee auf der Halbinsel Höri die hier angebaute Zwiebelsorte Höri-Bülle. Sie gilt unter Feinschmeckern als Delikatesse und wird auf dem Büllefest in Form verschiedener herbstlicher Köstlichkeiten angeboten. Hier duftet es nach Büllebrot, Büllesuppe und Bülledünne – der regionalen ZwiebelkuchenSpezialität.

Diese Knolle kann begeistern – aber leider bleiben die Augen beim Schälen und Schneiden oft nicht trocken. Schuld daran ist das ätherische Öl Allicin, auch Lauchöl genannt. Diese schwefelhaltige Verbindung drückt auf die Tränendrüse und macht die Liebe zu diesem Gemüse so tränenreich. Was Abhilfe schafft? Die Zwiebel vorher in heißes Wasser legen, eine Taucherbrille anziehen oder einfach: Messer schärfen!

Zwiebelzöpfe sind kleine Kunstwerke.