1

Viel mehr als nur sauer

Sanft breitet er sich auf der Zunge aus, entfaltet sein feines Bouquet und kitzelt die Geschmacksnerven. Er fordert die Aromen anderer Lebensmittel regelrecht heraus, macht Gerichte nicht nur rund, sondern verleiht ihnen eine unvergessliche Note. Kurz: Guter Essig ist ein Genuss.

Im Grunde ist Essig herzustellen keine Kunst: Eine alkoholische Flüssigkeit wie beispielsweise Branntwein fermentiert unter der Zugabe von Essigbakterien – Essigmutter genannt – und Sauerstoff. Dieser Prozess dauert nur wenige Tage, und das Ergebnis ist Essig in seiner Grundform, mit einem hohen Säureanteil und im Geschmack eher spitz und geradezu scharf.

In der Ruhe liegt die Kraft

Hochwertiger, vollmundiger Essig aber ist wahres Slow Food: Anstatt bereits fertigen Alkohol als Basis zu nehmen, vergärt man ausgewähltes Obst oder Gemüse zunächst zu Wein und fermentiert es im zweiten Schritt zu Essig – ein Vorgang, der sehr präzise gesteuert wird. Besonders gut eignen sich Früchte wie Trauben, Himbeeren, Äpfel und Birnen, aber auch Gemüse wie Tomaten oder sogar Spargel. Wichtig ist, dass die Zutaten aromatisch und reif sind und ihren Geschmack bei der Reifung des Essigs nicht verlieren.

Denn: Die saure Köstlichkeit braucht Zeit. Je länger sie ruht – oftmals in Holzfässern –, desto milder wird ihre Essigsäure, und die köstlichen Frucht- und Gemüsenuancen verbinden sich mit ihr und den würzigen Noten des Holzes. So wird die Mischung zu einer runden, weichen und bekömmlichen Melange mit nurmehr etwa fünf bis sechs Prozent Säure. Da möchte man doch beinahe einen Schluck pur genießen, von Himbeer-, Birnen- und Tomatenessig oder sogar vom bis zu zwanzig Jahre im Eichenfass gereiften Balsamessig.

Hauptdarsteller, nicht Komparse

Hochwertige Essige sind kostbar und geschmacklich viel zu komplex, um ihr Dasein als Nebendarsteller in der einfachen SalatVinaigrette zu fristen. In der Dramaturgie eines Menüs eignen sich Essige gleich für mehrere Rollen: Als Aperitif, zu gleichen Teilen mit Wasser verdünnt und mit weiteren Ingredienzen wie etwa Blüten aromatisiert, bereiten fein-fruchtige Obstessige Gaumen und Appetit auf die kommenden Gänge vor. Im Salat schmeckt ein Dialog aus spritzigem Him beeressig und aromatischem Walnussöl besonders harmonisch, aber gleichzeitig raffiniert.

Beim Hauptgericht wird himmlisch cremiger Aceto Balsamico zum heimlichen Protagonisten, wenn man Fleisch wie Schweinefilet darin mariniert und aus dem Bratenan-satz mit Salbei, Zitrone und Ingwer eine herrliche Soße zaubert. Ein zartes Nugat-Parfait, getoppt mit einer Karamell-Balsamessig-Soße, in der sich malzig-süße und samtig-säuerliche Noten gegenseitig abfedern, beschließt ein Menü, an das sich die Geschmacksnerven noch lange Zeit erinnern werden.

Im Grunde ist Essig herzustellen keine Kunst: Eine alkoholische Flüssigkeit wie beispielsweise Branntwein fermentiert unter der Zugabe von Essigbakterien – Essigmutter genannt – und Sauerstoff. Dieser Prozess dauert nur wenige Tage, und das Ergebnis ist Essig in seiner Grundform, mit einem hohen Säureanteil und im Geschmack eher spitz und geradezu scharf.

Kleine Essigkunde: Wie Essig entsteht

Schon die Babylonier um 6000 vor Christus wussten die damals noch geheimnisvolle, saure Flüssigkeit zu schätzen, mit der sie Speisen konservierten und die sie als Wein oder Bier stehen ließen, bis sie sauer wurden. Erst 1864 fand der französische Naturwissenschaft-
ler Louis Pasteur heraus, dass Essigbakterien und Sauerstoff für die Bildung der sauren Flüssigkeit verantwortlich sind, und legte damit den Grundstein für eine planbare Essigproduktion.

Im Salat schmeckt ein Dialog aus spritzigem Himbeeressig und aromatischem
Walnussöl besonders harmonisch, aber gleichzeitig raffiniert.