TEXT   Christiane Stoltenhoff

Es soll immer noch Menschen geben, die beim Stichwort Gräser nur an einen sattgrünen, kurz geschorenen Rasen denken und diese Pflanzengruppe ansonsten als Unkraut betrachten. Dabei bereichern Gräser den Garten gerade gegen Ende der Saison und lassen sogar die Ohren an der neuen Sinnlichkeit im Beet teilhaben.

Den Frühling und Sommer über halten sie sich bescheiden im Hintergrund und fungieren wie eine Leinwand auf der die Blütenpracht der Stauden besser zur Geltung kommt. Doch sobald die Sonne etwas tiefer am Horizont steht und eine leichte Brise weht, werden aus Randfiguren Hauptdarsteller. Das milde Licht lässt die zarten Blütenstände schimmern, und wenn der Herbstwind durch die Halme streift, hört es sich fast so an, als läge der Garten am Meer. Wer sich auf die filigrane Leichtigkeit der Gräser einlässt, möchte sie nicht mehr missen und sorgt dafür, dass der Garten auch zum Ausklang der Saison sehenswert bleibt. Dabei machen Gräser wenig Arbeit. Wer die jeweilige Art an den richtigen Standort pflanzt, braucht das Gras nicht zu „päppeln“ und auch von Schnecken bleibt diese Pflanzengruppe meist verschont.

Herbstlicht und Gräser wie Chinaschilf und Lampenputzergras passen gut zusammen und verwandeln einen Garten in ein poetisches Gesamtkunstwerk

Hans-Peter Frick
»Eigentlich lassen sich sämtliche Blütenstauden gut mit Gräsern kombinieren.«
Trendsetter mit Tradition

Gräser als Modepflanzen zu bezeichnen, wäre allerdings Unsinn. Lange bevor es Menschen gab, besiedelten diese einkeimblättrigen und nicht verholzenden Pflanzen mit zumeist langen Halmen unseren Planeten. Sie sind echte Pioniere und gedeihen auch an schwierigen Standorten, die vielen anderen Pflanzen zu feucht oder zu trocken wären. Und ein unumstrittener Fachmann wie der auch als Gartenphilosoph bekannte Staudenzüchter Karl Foerster (1874-1970) bezeichnete Gräser schon 1950 als „das Haar der Mutter Erde“ und sein letztes, erstmals 1957 erschienenes Buch hieß „Einzug der Gräser und Farne in die Gärten“. Roland Lütkemeyer, Gärtner von Eden in Gütersloh füllt diesen Titel mit Leben und vereint beide Pflanzengruppen zuweilen in einem Beet: „Im Halbschatten kombiniere ich gerne ein Gras wie die Schneemarbel mit dem Trichter-Farn. Das ist zwar nicht unbedingt typisch, weil ich Gräser meist an sonnige Plätze setze, aber da sieht man, wie vielfältig diese Pflanzengruppe ist.“

Für fast jeden Standort gibt es die passende Art. Kein Wunder, dass auch andere Profis auf Gräser setzen. Neu ist bestenfalls, dass auch ihre Kunden verstärkt danach fragen. Hans-Peter Frick, Gärtner von Eden aus Oberbüren in der Schweiz: „Wir haben schon immer Gräser gepflanzt. Allerdings kommt die Ausstrahlung der Gräser bei den meisten Menschen mittlerweile besser an.“ Anne Gottfried, Gartengestalterin aus Untersiemau in Oberfranken bestätigt den Trend zu den Halmen: „Ja, die gesteigerte Nachfrage gibt es. Ich muss heute keine Überzeugungsarbeit mehr leisten.“

Gräser sind angekommen in den Gärten. Kein Wunder, denn auch wenn sich ihre Schönheit erst auf den zweiten Blick erschließt, gelten sie längst als unverzichtbare Bestandteile guter Gartengestaltung. Ihre Vielfalt beweisen sie nicht nur hinsichtlich ihrer Ansprüche, sondern auch optisch, denn auch in einen Kiesgarten fügen sie sich bestens ein.



Gräser sind angekommen in den Gärten. Kein Wunder, denn auch wenn sich ihre Schönheit erst auf den zweiten Blick erschließt, gelten sie längst als unverzichtbare Bestandteile guter Gartengestaltung. Ihre Vielfalt beweisen sie nicht nur hinsichtlich ihrer Ansprüche, sondern auch optisch, denn auch in einen Kiesgarten fügen sie sich bestens ein.



Wuchsformen und Partnerschaften

Gräser bringen zwar keine Knallfarben in den Garten, aber Blütenpracht ist eben auch nicht alles. Strukturen und Wuchsformen gewinnen in der Gestaltung zunehmend an Bedeutung, und da haben sie viel zu bieten. Mal zittern ihre Blüten schon beim zartesten Windhauch wie beim Plattähren-Gras (Chasmanthium latifolium), mal zeigen sie sich kompakt und kissenförmig wie der Blau-Schwingel (Festuca glauca). Einige Vertreter wachsen förmlich in den Himmel. So wie das Riesen-Landschilf (Miscanthus x giganteus). Es kann über drei Meter hoch werden und zählt zu jenen Gräsern, die sogar als Sichtschutz zum Einsatz kommen können. Dabei passt Größenwahn gar nicht so recht zu den Gräsern. Die meisten Vertreter dieser Gruppe werden gerade ihrer Bescheidenheit wegen eingesetzt. Als Pflanzpartner zu Stauden bringen sie deren Blüten erst richtig zur Geltung. Hans-Peter Frick fällt es schwer, sich auf Favoriten festzulegen: „Eigentlich lassen sich sämtliche Blütenstauden gut mit Gräsern kombinieren. Für spätsommerliche Akzente finde ich den Sonnenhut oder Herbst-Anemonen besonders schön.“ Deren tellerförmige Blüten bilden zudem einen hübschen Kontrast zu den lanzettenartigen Blättern der Gräser.


Roland Lütkemeyer
»Im Halbschatten kombiniere ich gerne ein Gras wie die Schneemarbel mit dem TrichterFarn.«

Egal ob solo oder kombiniert – die Ästhetik der langen Halme kommt an, und falls tatsächlich noch jemand zögert, Gräser in den Garten einzuladen, lässt Roland Lütkemeyer ganz persönliche Bilder sprechen. In seinem Garten hat er vor acht Jahren Chinaschilf (Miscanthus sinensis) gepflanzt: „Ich habe die Sorte ‘Gracillimus’ gewählt und gleich 30 Stück davon gepflanzt. Dazu habe ich Purpur-Sonnenhut, Patagonisches Eisenkraut und Herbst-Astern gesetzt. Das sieht einfach klasse aus und zu diesem Beet führe ich gerne Kunden, die wissen möchten, ob Gräser wirklich schön sind.“ Nach einer Stippvisite in Roland Lütkemeyers Privatgarten sind sämtliche Zweifel meist beseitigt. Und weil er nicht jeden bei sich zu Hause empfangen kann, verrät Lütkemeyer den GartenArt-Lesern einen öffentlichen Garten, in dem man das Miteinander von Gräsern und Blütenstauden ebenfalls bewundern kann: „Den Gräflichen Park in Bad Driburg sollte man unbedingt mal besuchen. Dort hat Piet Oudolf einen Garten angelegt.“ Allein sein Name steht schon für Qualität. Der niederländische Gestalter gilt als einer der vielen Väter der neuen Natürlichkeit in den Beeten und als Instanz, wenn es darum geht, Blütenstauden und Gräser zu kombinieren.

Schlicht, aber ungemein effektvoll
Die dichten Schöpfe des  Japan-Berggrases rahmen den Weg in sattem Grün
Bühne frei für die Spätzünder

Wer in den Genuss der schönen neuen Gartenbilder kommen möchte, sollte lieb gewonnene Gewohnheiten über Bord werfen: Auch wenn es vielfach Tradition hat, den Garten im Herbst förmlich „aufzuräumen“ – bei Gräsern käme dies einer Sünde gleich. Halme und Samenstände sollten auch in der kalten Jahreszeit stehen bleiben. Die meisten Gräserarten sehen auch dann noch gut aus, wenn die Pflanzen in Winterpause gehen und sich der Frost über den Garten legt. Wenn der Raureif die Halme eines Chinaschilfs überzuckert hat und in der Wintersonne glitzern lässt, spielt das Gras seine poetische Trumpfkarte. Zur Gartenschere wird erst im zeitigen Frühjahr gegriffen. Dann machen die alten Wedel Platz für den Neuaustrieb. Bis dahin dienen sie im Garten nicht nur als ansehnliche Frostskulpturen, sondern nützlichen Insekten als Rückzugsort. Die Stängel der Gräser fungieren für sie als Winterquartier. 

Der Fairness halber sei bemerkt, dass auch einige Blütenstauden im Winter noch eine richtig gute Figur machen. Anne Gottfried: „Ich pflanze gerne die Fetthenne zu Gräsern, weil sie auch im abgeblühten Zustand noch toll aussieht.“ Zurück geschnitten wird diese Fetthenne (Sedum telephium) ebenfalls erst im Frühjahr. Bis dahin weicht sie den Gräsern nicht von der Seite und macht auch bei Frost gemeinsam mit den Halmen „Bella Figura“ im Beet.


Anne Gottfried
»Ich pflanze gerne die Fetthenne zu Gräsern.«
Wie eine Inszenierung der Vergänglichkeit wirkt das Pampasgras bei Frost

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